Eurovelo R 1 


Corona hat auch dieses Jahr die Radreiseplanungen durcheinander gebracht. Eine Tour in Polen sollte es schon sein, um wieder über neue spannende Erfahrungen berichten zu können.

Längere Bahnfahrten wollten wir wegen Corona in diesem Jahr noch vermeiden. So bot sich der bescheidene Abschnitt des Eurovelo R1 von Küstrin- Kietz bis Piła (Schneidemühl)  an. 

Der Eurovelo R1 quert Europa auf einer Strecke über 3500 km beginnend an der französischen Atlantikküste, Belgien, die Niederlande, Deutschland, Polen über Kaliningrad, die baltischen Staaten und endet in St. Petersburg. 

In der Nähe von Piła werden an Sonntagen Fahrten mit einer historischen Schmalspurbahn durchgeführt. Das wollte ich mir als Eisenbahnfreund nicht entgehen lassen. Ein Fahrradhighlight am Ende des ersten Teils der Tour!

Über diese Schmalspurbahn wurde in einem informativen Youtube Video über die Preußische Ostbahn  berichtet, das sich in erster Linie an Eisenbahnfreunde wendet, aber auch geschichtliches nicht außer Acht lässt. 

https://www.youtube.com/watch?v=43fvFL50EQ4&t=1560s

Die Route des Eurovelo R1 verläuft in einem durchschnittlich 30 – 40 km Abstand südlich der Trasse der Ostbahn. Erst in Krzyz (Kreuz) kreuzen sich Bahn und Radroute zum zweiten Mal hinter Küstrin.

Nun genug der Vorrede, jetzt soll die Tour endlich starten. 

Der Lokführerstreik hat für uns keine Auswirkung gehabt, da die Niederbarnimer Eisenbahn NEB ab Berlin-Ostkreuz nach Küstrin-Kietz nicht bestreikt wurde. Es war auch kein Nachteil, dass die Eisenbahnbrücken über Oder und Warthe zur Zeit saniert werden und die durchgehende Fahrt bis Ende 2022 nicht möglich ist. So mussten wir auf der alten B1 zur Oderbrücke radeln. Diese Radroute beschert einen neuen Blick auf die Festung Küstrin. Vor der Brückensanierung bin ich mit meinen ADFC Gruppen bis zum  Bf. Kostrzyn gefahren und haben die Festung von der Stadtseite durch ein Geschäftszentrum mit Tankstelle, Hotel etc. erreicht. Von der Oderseite erlebt man eine viel eindrucksvollere Sicht auf die Festungsmauern.
(Mein Tipp: Auch wenn die Fahrt mit der Bahn wieder durchgängig erfolgt, bitte in Küstrin-Kietz aussteigen und das kurze Stück über die Oderbrücke radeln. Es lohnt sich!) 
Natürlich sollte niemand auf die Besichtigung der Festungsanlage verzichten. Auch wenn nur noch die Grundmauern der ehemaligen Altstadtbebauung und das historische Pflaster der Straßen erkennbar sind, kann man sich einen Eindruck der innerhalb der Festungsmauern gelegenen Altstadt machen. Im kleinen Museum wird dem Besucher mit Bildern, Landkarten und einem Stadtmodell die Geschichte der Festung erklärt. Besonders interessant war für mich ein Video mit historischen Fotos mit Stadtansichten entlang der ehemaligen Straßenbahnlinien und wie es heute dort aussieht.

Natürlich wird die Geschichte vom damals noch jungen Fritz (später Friedrich der Große), der hier in der Festung im Jahr 1730 an der Hinrichtung seines Freundes Katte teilnehmen musste, erzählt.

Festung Küstrin von der Oderseite

 

Gleich hinter Kostrzyn steht die erste Entscheidung an. Offiziell verläuft der R 1 auf der Staatsstraße 22, die ich von einer früheren Tour in keiner guten Erinnerung hatte. Ein Komootnutzer hat diesen Abschnitt des R 1 als sehr gefährlich bezeichnet, denn einen Radweg gibt es nicht. Wir haben uns also an die Kreuzung Staatsstraßen 22 / 31 gestellt und den Verkehr und vor allem Lastwagen beobachtet. Die Routenwahl ging klar zu Gunsten der 22 aus. Auf der 31 war deutlich mehr Lkw Verkehr, wahrscheinlich Richtung Autobahn nach Poznan. 

Und nun muss ich gestehen, dass auf der Staatsstraße  22 fast nichts unterwegs war und wenn man den Aussichtsturm nach knapp 11 km erreicht hat, ist für den Rest des Tages nur noch Fahren auf ruhigen Nebenstraßen angesagt. Vielleicht hatten wir an diesem Vormittag des 18. August einfach Glück und an anderen Tagen sieht es anders aus. Auch wenn es sicher wegen der vielen kleinen Wasserläufe im Warthebruch nicht einfach ist, einen Radweg zu bauen, sollte es doch getan werden, denn der beschriebe Abschnitt ist nicht nur Eurovelo R 1, sondern wäre für Radfahrer auch Zugang zum Nationalpark. 
Neben der Staatsstraße gab es einstmals eine Bahnstrecke, die als Radweg nutzbar zu machen wäre.

Aussichtsturm bietet den Besuchern einem einen weiten Blick über den Warta (Warthe) Nationalpark. Am Fuß des Turmes steht ein Schild mit der Darstellung der Routenführung des R1 in Polen. 

Blick vom Aussichtsturm auf die Wartheniederung

Sulęcin

 

Über Sulęcin (Zielenzig), der Heimat der lieben Damen vom polnischen Lädchen bei mir um die Ecke, ging die Tour zum Tagesziel Międzyrzecz (Meseritz). 

Auch der nächste Fahrradtag war voller Überraschungen. Als erste erwartete uns direkt in Międzyrzecz, das Schloss Meseritz, das im frühen Mittelalter noch eine slawische Burg war und erst deutlich später zur heute noch bestehenden Burg ausgebaut wurde. 

Im schönen Landschaftspark, der die Burg mit  Burggraben umgibt, findet man mehrere lebensgroße aus Holz geschnitzte Figuren. Eine Gruppe stellt die ersten als „Fünf Heilige Brüder“ verehrten polnischen Märtyrer dar. 

Burg  in Międzyrzecz

 

Bis Miedzychod (Birnbaum) verläuft die Route über kleine ruhige Landstraßen und dann, … welch Überraschung! auf einem perfekten Radweg neben der Hauptstraße, jedoch leider nur wenige Kilometer bis zu einem Freibad am Mierzynskie See. Die ganze Anlage am See erinnert sehr an Badeorte an der Ostseeküste mit Spielzelten und lecker Döner! 

 



Drezdenko (Driesen) überrascht mit einem Park, in dem weltberühmte Bauwerke wie das Taj Mahal, die Freiheitsstatue von New York und die Oper von Sydney in Miniaturformat ausgestellt sind, schon sehr erstaunlich für so eine kleine Landstadt. Der Park wird von der „Neuen Netze“ (Netze, heute poln. Notec) durchflossen, die im Zuge der Urbarmachung des Netze-
bruchs entstand. Sehenswert ist ebenfalls das Schloss,  das 1766 im Auftrag eines Posener Kaufmanns und Bankiers, als spätbaraockes Bauwerk  errichtet wurde. Heute beherbergt es eine Schule 

 

Nach der Brücke über die Noteć (Netze), die nur wenige Kilometer östlich von Gorzów WLKP in die Warta mündet, queren wir abermals die Ostbahn am Bahnhof Stary Bielice (Alt-Beelitz) und sind erstaunt, ein Bahnhofsgebäude aus den 1930er Jahren mit einer Vielzahl von mittlerweile überwucherten Gleisen und Bahnsteigen zu entdecken. Welche Bedeutung dieser Bahnhof einstmals hatte, wird auf einer der roten Infostelen, die an fast allen Bahnhöfen der Ostbahn von Berlin, dem Land Brandenburg und der Wojwodschaft Lubuskie aufgestellt sind, erklärt: 

„ … Die Bedeutungssteigerung von Alt Beelitz ergab sich aus in den 30er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts durch die Eröffnung der Strecke Neu-Bentschen – Kreuz.  Alt-Beelitz wurde zu einem Knoten und erhielt neue Bahnhofseinrichtungen. Das Gebäude ist ein für die Zwischenkriegszeit typisches, modernes Objekt. Wie viele andere Bahnhöfe wurde er aus rotem Backsteinen erbaut. Er besitzt keine architektonischen Schmuckelemente. Es ist auf den ersten Blick zu erkennen, dass es dem Architekten, gemäß der damals geltenden Doktrin, vor allem daran gelegen war, eine hohe Funktionalität des Gebäudes zu erreichen. Sein einziger aber spektakulärer Schmuck ist ein gewisser Bauhaus Touch.“ 

Bahnhof Stare Bielice mit Infostele 

 

Die PKP hat die Bedeutung der Bahnhöfe der 1930ger Jahre erkannt. Stary Bielice ist heute leider durch die Stilllegung der Strecke nach Neu-Bentschen, Zbąszynek wie die nahe von Swiebodzin an der Strecke Poznan – Frankfurt/Oder gelegene Stadt heute heißt, wohl zu unbedeutend, um größere Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Der Bahnhof von Głogów (Glogau), der ebenfalls aus den 1930er Jahren stammt, wurde denkmalgerecht saniert, so dass die renommierteste deutsche Architekturfachzeitschrift, Bauwelt, 12.21 „Brick-Design“ darüber berichtet hat. „ Den leitenden Architekten ist besondere Anerkennung auszusprechen, die das Thema Bahnhof mit entsprechender Sorgfalt und Gründlichkeit angegangen sind.“ (Büro Archwig, Wrocław) 

Das nächste Highlight auf der Radtour ist wieder ein Bahnhof der Ostbahn, Krzyz (Kreuz).

Die Stadt Krzyż kann als „klassische Eisenbahnstadt“ bezeichnet werden, der Name Kreuz ist Programm!

„Von 1847 bis 1848 wurde durch die Örtlichkeit hindurch die Strecke der Stargard-Posener Eisenbahn-Gesellschaft gebaut. 1848 wurde an der geplanten Abzweigung der Strecke KüstrinPosen mit dem Bau eines Bahnhofes begonnen, der ein im klassizistischen Stil errichtetes Empfangsgebäude erhielt. Obwohl der Bau der Preußischen Ostbahn erst Ende 1849 endgültig vom preußischen Landtag genehmigt wurde, war der Bahnhof Kreuz mit der Südwest-Nordost-Ausrichtung seiner Gleise darauf angelegt, dass eine Strecke von Berlin an die untere Weichsel und nach Ostpreußen einmal die Hauptstrecke werden sollte. Der Bau der Ostbahn wurde 1849 von dem besagten Bahnhof aus begonnen und am 27. Juli 1851 über Schneidemühl bis nach Bromberg fertiggestellt. Weitere Teilabschnitte der zuletzt 740 Kilometer umfassenden Strecke folgten bis zur Eröffnung des letzten Teilstücks vom ersten Berliner Ostbahnhof nach Gusow am 1. Oktober 1857. Von dem Zeitpunkt an kreuzten sich hier daher zwei wichtige Eisenbahnstrecken und führten später zu der Namensgebung „Kreuz“. 

Nachdem in den folgenden Jahren von dieser Stelle aus weitere Bahnlinien nach Deutsch Krone (Wałcz) und Rogasen (Rogoźno) gebaut worden waren, hatte der Bahnhof so sehr an Bedeutung gewonnen, dass sich in seinem Umfeld eine neue Siedlung entwickelte. Es entstanden zunächst planlos angelegte Straßenzüge mit Geschäften und öffentlichen Gebäuden. 1882 wurde die evangelische Kirche errichtet, und 1900 wurde der Marktplatz fertiggestellt. Die guten Bahnverbindungen und der nicht weit entfernte Netzehafen veranlassten mehrere Industriebetriebe wie eine Stärkefabrik und Holz verarbeitende Unternehmen, sich am Ort niederzulassen.“ (Wikipedia) 

Besser als Wiki kann die Geschichte dieser in Abhängigkeit vom Bahnbau entstandenen Stadt nicht beschrieben werden. Ein Bild des Bahnhofs um 1900 ist das Titelbild aller der bereits zitierten roten Infostelen. Bedauerlicherweise zeigt die Innenausstattung des Bahnhofs nichts mehr von der ehemaligen Gestaltungsqualität. Aber es besteht sicher Hoffnung, wenn ich an andere Bahnhöfe der PKP denke so an den wunderschönen Bahnhof Przemysl (s. Green-Velo). Im Gegensatz zur DB AG scheint es das Ziel der PKP zu sein, historische Bahnhöfe denkmalgerecht zu sanieren und nicht zu Einkaufszentren mit Bahnanschluss umzubauen.  

Bahnhof Krzyz 

 


 

Die nächsten 50 km nach Tuczno (Tütz) verliefen wohl ziemlich unspektakulär, denn es gibt von diesem Teil der Tour keine Fotos. Unsere Route verlief über eine noch relativ gering befahrene Hauptstraße. Tuczno liegt weit ab vom R1. Für diesen Umweg gibt es zwei Gründe. 

Durch die Erfahrungen vom Green-Velo und einem Kurztrip ins Hirschberger Tal sowie einer Einladung zur Geburtstagsfeier in´s Zamek (Schloss) Łagów sind wir von Schlosshotels begeistert, in denen man Geschichte erspürt und eine Nacht in einer Umgebung lebt, die nicht alltäglich ist. 

Auch das Zamek Tuczno beherbergt ein Hotel. Leider war das Schloss auf den bekannten, Buchungsplattformen ausgebucht aber ein Gasthof in einer historischen Mühle ist angeboten worden. Erstmal sind wir zum Schloss gefahren, um gleich einen Tisch für das Dinner in gehobenem Ambiente zu reservieren. Der Empfang war wenig freundlich, „nein Essen nur für Hausgäste, äh heute überhaupt nichts.“ Wenigstens erklärte das Schlossgespenst den Weg zur Mühle. Sollte nicht weit sein, nur ein mal halb um´s Schloss. Auf mindestens dreihundert Jahre altem Kopfsteinpflaster rumpelten wir den beschriebenen Weg entlang. Für jemanden wie mich, der für Gestaltung des Straßenraumes und Denkmalschutz im öffentlichen Raum zuständig war, ein echtes Erlebnis dieses Pflaster, aber als Radler … ! 

Ja, da war auch eine Mühle, aber ein Gasthof??? Also weiter, kein Gasthof, keine Mühle und weit und breit kein Hinweisschild! 

Wieder zurück und der Mühle einen Besuch abstatten. So ein desolates, abgeranztes Haus haben wir noch auf keiner Tour erlebt. In einem Raum saß ein völlig dementer Greis, der kurz davor war, den Hund auf mich zu hetzen. Das kann definitiv kein Gasthof sein, und plötzlich kam aus dem Hintergrund eine freundliche Stimme auf deutsch, ob wir diejenigen sein, die hier gebucht hätten. Es war die Tochter des alten Mannes, die im Sommer hilft die Pension zu führen. Nun, es war nicht die im Geiste vorgestellte historische Mühle, aber das Zimmer war durchaus gut und zweckmäßig eingerichtet. Die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der jungen Wirtin haben über so manches Problemchen hinweg sehen lassen. Da Frühstück nicht angeboten wird, kann man sich aber in der Gemeinschaftsküche einen Kaffee zubereiten. 

Das Schloss bietet derzeit nur Gruppenreservierungen an und ist auch nicht auf den Buchungsplattformen gelistet. Als wir dem Schloss zwecks Dinnerresevierung den Besuch abstatteten, waren Vorbereitungen für ein Fest unübersehbar und noch lange am Abend konnte man den Proben und Soundchecks der Band lauschen. 

Also, wenn du diese Seiten liest und vorhast in Tuczno zu übernachten, solltest du dich nicht abschrecken lassen, die Mühle befindet sich direkt am Schlossteich auf der Rückseite des Schlosses. Das Schloss hat eine äußerst wechselvolle Geschichte. Gegründet wurde es 1338 als Residenz der Adelsfamilie von Wedel, die später den polnischen Familiennamen Tuczyński annahm. 

Den dreischenkligen Grundriss erhielt das Schloss zu Beginn des 17. Jh. 

„Im Frühjahr 1945 wurde das Schloss durch Kampfhandlungen und Sprengung der Bunker beschädigt, blieb jedoch im nutzbaren Zustand. Nach dem Großbrand 1947 stand die Ruine bis 1957 verlassen, 1958–1962 wurden archäologische Grabungen durchgeführt, die die Reste der gotischen Burg enthüllten. 1966 bis 1976 wurde das Schloss wiederaufgebaut, wobei der Zustand aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts wiederhergestellt wurde.“ (Wikipedia) 

 

Zamek Tuczno 

Gasthof "Zur Mühle"

 

Den zweiten Grund für den Umweg nach Tuczno hätte ich fast vergessen zu erwähnen. Eingangs hatte ich die historische Schmalspurbahn bei Piła erwähnt, die nur sonntags auf Gäste wartet. Ein Tag musste daher mit einer „Extratour“ sinnvoll verbracht werden, … und das war der Schlenker nach Tuczno! 

Die Tour nach Piła (Schneidemühl) durch die beschauliche von Wäldern und Ackerland eiszeitlich geprägte Landschaft war relativ kurz, so dass nachmittags noch reichlich Zeit zur Stadtbesichtigung vorhanden war.
 

Das erste Highlight, das ich auch bei Komoot gekennzeichnet habe, war unser Hotel „Arche“. Auch wenn wir bekennende Freunde von Schlosshotels sind, dieses Hotel mit einer riesigen im Stil einer Baustelle durchdesignten Empfangshalle hat uns begeistert. Auch das Personal an der Rezeption verdient eine Auszeichnung. In kürzester Zeit haben sie die Reservierung für das Kleinbahnabenteuer am Sonntag für uns erledigt (Zur Zeit der Tour bestand nur eine polnische Webseite, die jetzt aber mit Ticketbuchung auch in deutsch aufzurufen ist: 

TWKP - Towarzystwo Wyrzyska Kolejka Powiatowa  

https://twkp.pl/

Piła ist eine Stadt mit einer höchst wechselvollen Geschichte, die sich an ihren leider wenigen Bauwerken, die den 2. Weltkrieg einigermaßen unbeschadet überstanden haben, ablesen lässt. An erster Stelle steht wieder mal der Bahnhof. Mehr noch als Krzyz (Kreuz) ist Piła ein  bedeutender Bahnknoten. Es kreuzen sich die Preußischen Ostbahn und die zwei Nord-Süd-Strecken von Poznan (Posen) nach Kołobrzek (Kolberg) bzw. nach Słupsk (Stolp). Das Bahnhofsgebäude ist ähnlich imposant wie das von Krzyz. Der große Unterschied besteht in der Tatsache, dass in Piła ein Mittelbahnhof angelegt ist. Das heißt, die Gleise liegen links und rechts des Gebäudes, was für Fahrgäste zumindest damals recht komfortabel gewesen sein wird. 

Das Bahnhofsgebäude ist innen nach historischen Vorlagen saniert und eine Fotoausstellung im Bahnhofscaffee dokumentiert die Geschichte des Bahnhofs. 

Durch die Veränderung der Grenzen zwischen Deutschland und Polen nach dem 1. Weltkrieg wurde die Funktion der Provinzhauptstadt aus Bydgszcz (Bromberg) nach Westen in die bis dahin unbedeutende Provinzstadt Schneidemühl verlagert.  Neue Verwaltungsgebäude mussten errichtet werden, die auch heute noch als herausragende Beispiele der neuen Sachlichkeit gelten. Neben dem Finanz- und Zollamt sind das Landestheater mit 1200 Plätzen sowie das Landemuseum von Paul Bonatz am Danziger Platz zu erwähnen. Für das Landestheater wurde eigens ein Symphonieorchester gegründet! 

Auf dem Weg nach  Piła

Danziger Platz

Das ungewöhnliche Ambiente im Hotel Arche

Bahnhof Piła

 

Der nächste Morgen wurde mit einem hervorragenden Frühstück eingeläutet. Anschließend ging´s zum Bahnhof, den wir den Tag vorher ausgiebig erkundet hatten, um in den Zug Richtung Bydgszcz einzusteigen.  Unser Ziel Białosliwie ( Weißenhöhe) liegt ca. 30 km östlich von Piła . In Białosliwie befindet sich das Depot der Wirsitzer Kreisbahn, mit der wir nun an der Fahrt auf schmaler Spur teilnehmen wollten. 

Wenige Schritte vom Bahnhof entfernt befindet sich das von Eisenbahnenthusiasten in der Freizeit betriebene Kleinbahnbetriebswerk. Dort herrschte fast Volksfeststimmung. Familien begutachteten den mit offenen Wagen ausgestatteten Zug oder hatten bereits ihre Plätze eingenommen als die kleine Diesellok die Rampe herunter gerollt kam. Ich wusste schon, dass an diesem Sonntag Dieselbetrieb stattfinden sollte aber die vor dem Depot stehende Dampflok hätte der Tour doch mehr Kleinbahngefühl „der alten Zeit“ verliehen. Aber die Diesellok hatte zumindest den Vorteil, dass man nach der Tour nicht noch tagelang den Geruch von Kohle und Ruß in den Klamotten trägt. (Ist mir mal bei einer ähnlichen Dampflokfahrt passiert, wo Funkenflug sichtbare Spuren auf dem Anorak hinterließ!) 

Der freundliche Schaffner hat uns gestattet, im Dienstabteil im letzten Wagen zu sitzen. Das Dienstabteil mit den schmalen Bänken und noch vorhandenen Schornsteins des ehemaligen Kohleofens ließ einen doch eine Reise in vergangenen Zeiten erleben.  Der letzte Wagen hat immer den Vorteil, dass man in Kurven den ganzen Zug überblicken kann. Eine Fahrt in den offenen Wagen wäre eher vergleichbar mit einer Fahrt mit der „Parkeisenbahn Wuhlheide“ als denn "echte" Eisenbahn gewesen. 

Da sich die Fahrt großer Beliebtheit erfreut, kamen noch zwei Großmütter mit den Enkeln in unser Abteil. Die älteren Damen waren offensichtlich wirklich an der Bahnfahrt interessiert und haben sich angeregt mit dem Schaffner unterhalten, die Kinder haben sich gelangweilt. 

Für mich war die Fahrt im letzten Wagen mit Blick auf die Strecke dennoch ein Erlebnis und ich kann nur jedem Eisenbahninteressierten die Fahrt empfehlen, weil durch den Fahrkartenverkauf auch die aufwendige Arbeit der Eisenbahner in ihrer Freizeit unterstützt wird. 

Abenteuer Kleinbahn

 

Informationen zur Geschichte der Wirsitzer Kreisbahn findet ihr hier: 

https://de.wikipedia.org/wiki/Wirsitzer_Kreisbahn 

Die Mogelei in Komoot, die Strecke von Piła nach Białosliwie und zurück mit dem Fahrrad bewältigt zu haben, mögt ihr mir bitte verzeihen, denn sonst hätte ich doch die Kleinbahn nicht als Fahrradhighlight eingetragen können! Natürlich hätten wir radeln können, aber das Risiko nicht pünktlich zu sein, erschien uns doch zu groß! 

Bei einem sensationellen Abendessen im Hotel mussten wir nun überlegen, wie wir unsere Tour fortsetzen können, ohne auf dem Rückweg längere Zeit in der Bahn sitzen zu müssen.  Die Fortsetzung des R1 weiter Richtung Osten war aus diesem Grund leider keine Option. Zu gerne wären wir über Bydgoszcz und Torun (Thorn) mit seiner UNESCO Welterbe Altstadt weiter geradelt. Die Marienburg hätten wir besichtigen können und wären wieder in Elbląg gelandet, wo Green-Velo beginnt, … Irgendwann ist Corona sicher auch mal überstanden und dann kann die Tour fortgesetzt werden. Piła ist mit nur einmal Umsteigen von Berlin schnell erreichbar. 

Also muss unsere Reise irgendwo weiter in westlicher Richtung fortgesetzt werden. 

Ganz so  schmerzlich war der Abschied von der eigentlichen Tour auf dem R1 dann nicht, denn das Tief aus östlicher Richtung rückte näher und bei dem angekündigten Regen wäre die Fortsetzung auch nicht sonderlich vergnüglich. 

Im letzen Jahr sind wir eine von Freundin Wanda aus dem Marschallamt neu geschaffene Route von Choszczno (Arnswalde) über Barlinek (Berlinchen) und Mysliborz (Soldin) weiter bis Trzcinsko Zdroj mit ihr, ihrem Mann Thamasz und Triathlonhund Korba geradelt. 

Diese Tour wird im Kapitel „Mit Wanda auf neuen Routen östlich der Oder“ beschrieben. 

Also beschlossen wir nun, den nördlichen Abschnitt der Route 20 / 15 kennenzulernen.
Diese Tour wird beschrieben im Kapitel Route 20 / 15 in Westpommern.