Mit Wanda auf neuen Routen östlich der Oder
Route 20, Choszczno – Myslibórz – Trzcinsko-Zdroj
2020
Nachdem wir in den vorangegangenen Jahren schon einige Touren unter Führung von Wanda unternommen haben, die ich im Kapitel „Radrouten östlich der Oder“ beschrieben habe, ohne mich so explizit auf Wanda bezogen zu haben, wurden wir auch im Sommer 2020 von Wanda und ihrem Mann Tomasz eingeladen, eine gemeinsame Radtour auf einer von ihr geplanten und schon zu großen Teilen fertig gestellten Route zu unternehmen.
Es beginnt sich eine kleine schöne Tradition zu entwickeln.
Vorher haben wir noch einen Nachmittag in Szczecin (Stettin) verbracht, um uns zusammen mit Kalina und Maciek von der Fahrradinitiative Rowerowy Szczecin zu treffen. Die Fahrradinitiative hat ihr Aufgabengebiet um die Förderung des Fußgängerverkehrs erweitert, und uns den Umbau einer Straße mit mehr Platz für Fußgänger und Erweiterung der Flächen für Tische und Stühle vor Restaurants vorgestellt. In Berlin würden wir von Pop Up Restaurants sprechen! Aus meiner fachlichen Sicht sind diese durch Corona bedingten, mit wenig Mitteln geschaffenen Umbauten, auch städtebaulich durchaus gelungen.
Platz für Pop Up Restaurants in der Aleja Jana Pawla II
Am nächsten Morgen ging´s dann mit der Bahn nach Choszczno (Arnswalde). Mit den Niederflurzügen, die im Regionalverkehr Westpommern eingesetzt werden, ist das einsteigen mit Fahrrädern gar kein Problem mehr. Es ist sogar Platz für die Mitnahme des „Hundetransportfahrrades“ für unsere kleine Freundin Korba vorhanden.
Noch wartet der Radweg auf die Fertigstellung (westlich von Choszcznow
Blick auf den fertigen Abschnitt
Der Bahnhof in Choszczno war ehemals ein Kreuzungsbahnhof auf der Hauptstrecke Krzyz – Szczecin und der Nebenbahntrasse von Grzmiąca (Gramenz) – Barwice (Bärwalde) – Połcin Zdroj (Bad Polzin) – Złocieniec (Falkenburg) – Kalisz Pomorski (Kallies) – Choszczno – Lubiana (Alt Libbehne) – Barlinek (Berlinchen) – Myslibórz (Soldin) – Dębno (Neudamm) Kostryn (Küstrin).
Ich habe diese wichtigen Bahnhöfe aufgezählt, weil im Kapitel „Eurovelo R 1" einige der Bahnhöfe erwähnt wurden und wir nun auf der aktuellen Radtour wieder die zum Radweg umgestaltete Bahntrasse von Choszczno in westlicher Richtung auf der Tour beradeln werden. Es ist die östliche Fortsetzung der Route 20, die im Westen noch an der Europabrücke bei Siekierki endet.
Der erste kurze Abschnitt befand sich noch in der Bauphase, aber die Oberfläche war schon gut befahrbar. Dann aber ging’s auf perfekt asphaltierter Strecke schon nach 11 km zum ersten Höhepunkt, dem Bahnhof von Lubiana (Alt Libbehne).
Der Bahnhof gehört einem privaten Eigentümer, der ein mit eigenen Mitteln ein kleines Eisenbahnmuseum aufbaut. Mittelpunkt ist eine Dampflok der Baureihe DR 45 von Henschel aus den 30er Jahren. Diese Lokomotive, die für den Einsatz schwerer Güterzüge gebaut wurde, befindet sich in einem ziemlich traurigen Zustand. Auch die Signale und der Wasserkran sehen arg mitgenommen aus. Ich kann nur hoffen, dass der Eigentümer finanziell in der Lage ist, zumindest notwendige Sicherungen durchführen zu können.
Wanda war mit dem Eigentümer durch ihre Radwegbaumaßnahmen gut bekannt, so dass wir auf Kaffee und Gebäck eingeladen wurden. Wir waren von der Gastfreundschaft sehr angetan.
Bahnhof Lubiana
Ein alter Fahrschein aus der zeit als der noch Billet hieß
Nach ca. 30 km, kurz vor Barlinek, haben wir einen Abstecher zu einer historischen Papiermühle unternommen. Auch dieses technische Denkmal wird privat von einem Verein betrieben und saniert. Hochinteressant sind die alten Gerätschaften.
Die historische Papiermühle bei Barlinek
Nach dem Wiener Kongress begann Barlinek (Berlinchen) sich zu einem beliebten Erholungsort für bürgerliche Berliner Familien aus Berlin zu entwickeln. Für weiteren Fortschritt sorgten 1860 der Ausbau der Straßenverbindung nach Gorzow (Landsberg) und 1893 die Eröffnung der Eisenbahnlinie Myslibórz (Soldin) – Choszczno (Arnswalde). Auch heute noch ist Barlinek ein beliebter kleiner Ferienort mit einer Uferpromenade am Barlinskiesee. Die Mittagspause haben wir in einem idyllisch am Seeufer gelegenen Restaurant verbracht.
Impressionen aus Barlinek
Schon nach 60 Km haben wir unser Tagesziel in Jezierzyska erreicht. Vorher haben wir uns noch mit allem, was man für ein gutes Abendessen benötigt, bei einem der Discounter mit den vier großen Buchstaben versorgt.
Die Übernachtung hatte Wanda in einem Agrotyristika mit Küche organisiert. Ohne Wanda hätten wir diese Übernachtungsmöglichkeit nicht gefunden.
Für Wanda und Tomasz ist eine Radtour immer ein Anlass zum Zelten. Die beiden durften ihr Zelt im Garten des Agrotyristika aufstellen. Nach getaner Arbeit ging´s dann in die Küche und die Vorbereitungen für unser Abendessen begannen mit Gemüseschnibbeln. Gemeinsam kochen und das Dinner am gemütlichen Küchentisch sind ein Höhepunkt bei einer Radtour.
Abends im Agrotyristika
Am nächsten Tag ging die Tour weiter zum bereits seit der vorletzten Jahrhunderwende beliebten Badeort Myslibórz (Soldin). So um das Jahr 2000 waren die Fahrradpartnerin und ich schon einmal in Myslibórz. Auch wenn sich viel verändert hat, haben wir den Ort mit seinem Strandbad sofort wieder erkannt. Wir konnten uns bis dahin nicht erinnern, in welchem Ort wir damals einen Ferientag verbracht haben. Nun aber wurde die Erinnerung aufgefrischt. Sogar den Gasthof von damals, das Pensionat „Nad Jeziorem“ haben wir wieder entdeckt und uns an eine ziemlich unruhige Nacht erinnert. Auf dem Sportplatz fand ein Motorradtreffen mit entsprechender Musik statt!
Nicht weit hinter Myslibórz mussten wir die Route 20 verlassen und nach nur noch ca. 30 Kilometer ist Trzcinsko-Zdroj erreicht.
An dieser Stelle ist eine gute Nachricht zu ergänzen, der Radweg auf der alten Bahntrasse zwischen Goralice (mit dem beliebten Agrotyristica) und Trzcinsko-Zdroj ist in diesem Jahr fertig gestellt worden. Man muss nun nicht mehr auf der hochbelasteten Landstraße radeln!!!
Auch das passiert, eine Reifenpanne
Rathaus von Mysliborz
Bei Trzcinsko-Zdroj
Kurz vor Schwedt
Hier mussten wir uns leider schon von Wanda und Tomasz verabschieden. Wir hätten gerne noch die Mittagspause miteinander verbracht. Aber die Zeit wurde knapp und wir hatten noch einen ziemlich weiten Weg vor uns.
Bis Godków sind wir weiter auf der mittlerweile nun schon sehr vertrauten Route 20 weiter geradelt. Da die Fähre bei Gosdowice über die Oder nicht mehr betrieben wurde (ein Opfer von Corona?), mussten wir weit nach Norden über Choina nach Schwedt fahren. Glücklicherweise war die Straße zwischen Godków und Choina am Sonntagnachmittag wenig befahren. Über kleine Straßen und Waldwege erreichten wir Schwedt. Wir waren zufrieden wieder eine so ereignisreiche und interessante Tour mit unseren Freunden erlebt zu haben.
Leider sind entlang der Route 20 die Übernachtungsmöglichkeiten noch recht dünn gesät.
Es gibt in den Ferienorten Barlinek und Myslibórz einige kleine Hotels und Pensionen. Nur sind die in der Ferienzeit stark gebucht, so dass eine spontane Übernachtung für Radler noch ziemlich schwierig zu finden sein dürfte.
Route 3 „Blue Velo“ am Zalew Sczecinski (Stettiner Haff)
2021
Wieder haben Wanda und Tomasz, die Fahrradpartnerin und mich zu einer Tour auf neuen Radwegen eingeladen. Eine große Freude!
Geplant war eine Runde um das Stettiner Haff auf dem nördlichsten Abschnitt des „Blue Velo“, den ich euch schon ausführlich zum südlichen Bereich zwischen Gryfino (Greifenhagen) und Trzcinsko-Zdroj (Bad Schönfließ) beschrieben habe.
Wir konnten die Anfahrt mit Besuchen bei Freunden in Fürstenberg und Wesenberg verbinden.
In Fürstenberg hatten wir die Gelegenheit noch sowjetische Relikte zu bewundern, eine Kontrollbaracke, das zum Offiziersquartier umgebaute Sanatorium einer Krankenversicherung und … mitten im Gestrüpp der Genosse Lenin.
Nach Wesenberg wurde die Radtour zeitweilig ziemlich abenteuerlich. Wenn es sich nicht gerade um die berühmten Radrouten in Nord-Süd-Richtung mit der Ostsee als Ziel und dem Ostseeradweg selbst handelt, sind Radrouten im Hinterland in West-Ost-Richtung noch sehr spärlich und in zweifelhaftem Zustand vorhanden.
Von Wesenberg nach Neustrelitz war ein Radweg neben der Fahrbahn eingerichtet. Östlich von Neustrelitz bei Blankensee führte uns die mit Komoot geplante Route auf die stillgelegte Bahntrasse Neustrelitz – Brendenfelde – Woldeck – Strasburg (Uckermark), dem östlichen Arm der Strecke Neustrelitz über Mirow bis Wittenberge.
Dass die Radroute auf einer Bahntrasse verlief, war schon überraschend. So ganz entspanntes Radeln war dennoch nicht möglich, da Brücken, die kleine Straßen querten, abgebaut worden sind. Das bedeutete, eine Rampe zur Straße steil hinunterfahren, bremsen und dann alle Gänge durchschalten um wieder auf den Bahndamm hochzustrampeln. Wer das geplant hat, war definitiv kein Radfahrer. Auf einer Radroute ein Schild aufzustellen „15% Gefälle, Radfahrer absteigen“ ist schon ein Schildbürgerstreich. Bergauf müssen sicher viele Radfahrer absteigen, auch ohne behördliche Anordnung!
Bahnradweg
15% bergab "Radfahrer absteigen"
Bahnhof Quadenschönfeld
Bis Quadenschönfeld mit seinem restaurierten Bahnhof verlief der Radweg auf einer ruhigen Landstraße, aber dann wurde es hart. Der Bahnradweg, als ein solcher ausgeschildert, verlor sich im Wald. Ein am Baumstamm markiertes Zeichen war der sichere Hinweis, dass der Weg durch hohes Gras und Gestrüpp immer noch der Radweg ist. Irgendwann war auch wieder ein Weg vorhanden. Eine Brücke war als Relikt der Eisenbahn noch existent.
Fortsetzung vom Bahnradweg
Das Widerlager ist der Beweis, wir sind noch auf dem Bahnradweg
Woldeck lohnt mit seinen Mühlen aus unterschiedlichen Zeiten und verschiedenen Bauweisen einen Besuch.
Hinter Woldeck geht es wieder auf dem Bahnradweg in guter Qualität weiter bis zum Endpunkt der Bahnstrecke in Strasburg (Uckermark). Die Stadt gehört trotz des Zusatzes Uckermark zum Bundesland Mecklenburg-Vorpommern!
Von Strasburg war es dann noch eine geruhsame Tagesetappe nach Ückermünde.
Pünktlich am nächsten Morgen holten uns Wanda und Tomasz im Hotel ab. Sie haben diese Tour mit perfekter Organisation vorbereitet. Sie sind mit dem Auto und den Fahrrädern auf dem Dachträger gekommen und haben das Auto stehen lassen können. Freunde haben die Tour in Gegenrichtung unternommen und konnten dann mit dem Auto zurück nach Szczecin fahren.
Das Cargobike für´s Hundi konnte auf dem Autodach natürlich nicht transportiert werden, so dass die Tour für Korba etwas weniger komfortabel war, mitfahren im Gepäckkorb!
Über Rieth an der Südseite des Stettiner Haffs ging es auf einer für uns von früheren Touren bekannten Strecke Richtung Osten. Der Übergang nach Polen war wegen der Schutzzäune gegen Wildschweine (afrikanische Schweinepest!) relativ kompliziert. Auf der polnischen Seite existiert noch die alte Eisenbahnbrücke und auf deutscher Seite dann zwischen dem deutschen und dem polnischen Radweg wartete damals noch ein Graben, durch den man das Fahrrad zu schieben hatte. Ich war sehr gespannt, ob nun auch die Mecklenburger Seite ihren Radweg mal fertig bekommen hat, aber die Schweinepest hat diese Hoffnung zunichte gemacht.
Am Haff
Grenze Deutschland / Polen
Auf dem schon bekannten Bahnradweg auf der polnischen Seite ging es nun auf besonderen Wunsch unserer Tourenleiter weiter entlang der von Dobra bei Szczecin kommenden kleinen Landstraße nach Nowe Warpno (Neuwarp). Dort soll es die nach ihrer Meinung besten Gofry geben. Gofry sind frisch gebackene Waffeln, die mit einem Berg Schlagsahne und Obst belegt sind. Bei diesem Wort merkt man noch heute die Verbindung mit Frankreich, Waffeln – Gaufres.
Gut gestärkt ging es wieder zurück auf den Bahnradweg, der 2016 auf der Trasse der Randower Kleinbahn eingerichtet wurde. Die Randower Kleinbahn verkehrte von Szczecin Gumience (Stettin Scheune) ziemlich genau entlang der heutigen deutsch-polnischen Grenze über Rieth bis nach Neuwarp. Als Reparationsleistung wurde sie 1945 abgebaut.
In Karszno (Albrechtsdorf) führte uns Wanda zum 1736 errichteten Schloss von Ferdinand von Fürst und Kupferberg. Bis auf wenige erhaltene Gebäudeteile ist das Schloss in der kommunistischen Zeit weitgehend zerstört worden. Ein in der IT Branche reich gewordener Investor hat das Schloss originalgetreu als sein Privathaus wieder aufbauen lassen. Eine Besichtigung ist daher nur von außen mit Abstand möglich.
Radweg auf der Trasse der Randower Kleinbahn
Schloss in Karszno
Nowe Warpno
Weiter ging es auf ruhiger Landstraße bis Trzebiez (Ziegenort). Wanda wollte wissen, was Ziegenort heißt, ob das nur ein Name ist oder eine Bedeutung hat. Konnte ich nur als Goat´s Town übersetzen.
In Trzebiez wartete bereits die für uns reservierte private Fähre, die die kleine Gruppe mit ihren Fahrrädern auf die östliche Seite des Oderarmes Divenow nach Kopice übersetzen sollte. Eine angenehme Seefahrt von immerhin 45 Minuten. Die Fähre muss relativ frühzeitig gebucht werden. „130 PLN kostet die Fährfahrt (unabhängig von der Anzahl der beförderten Personen, max. 9). Beim Fahrradtransport zusätzlich 10 PLN / Fahrrad.“ So steht es auf der Webseite der Fähre; durch die automatische Übersetzung entstehen jedoch Fehler und merkwürdige Formulierungen, so dass ich für die Richtigkeit dieser Angabe absolut keine Garantie gebe.
Hafen Trzebiez
Alle an Bord mit Fahrrädern
Ausschiffen in Kopice
Vom kleinen Hafen Kopice ging es ein kurzes Stück auf einer sehr ruhigen Straße entlang des Haffs, die dann in einen gute mit wassergebundener Decke versehen Radweg überging. Wunderschön am Ufer des Stettiner Haffs entlang zu radeln, links das Wasser und rechts endlose Flächen mit Ufervegetation. Mit diesem Weg wurde ein Höhepunkt für Radfahrer geschaffen. Beinahe hätte ich vergessen zu erwähnen, dass dieser Weg der nördlichste Abschnitt der Route 3 „Blue Velo“ ist, der euch ja bestens als Bahnradweg von Gryfino nach Trzcinsko-Zdroj bekannt ist!
In den Dörfern vor Wolin (Wollin) wird die Radroute teils auf der Fahrbahn und teils auf einem separaten Radweg geführt.
Die Stadt Wolin gilt als Namensgeberin der gleichnamigen Insel, die mit dem westlich gelegenen Usedom das Stettiner Haff von der Ostsee trennt. Um von der Radroute in die Stadt zu gelangen, ist der östlichste Mündungsarm der Oder, die Dziwna ( Dievenow) zu queren.
Der neue Radweg am Haff
Ankunft in Wolin
Im Garten wird das Zelt aufgebaut
In Wolin verstarb am 1. November 987 der dänische und norwegische König Harald Blauzahn, der Namensgeber für den Funkstandard Bluetooth wurde.
Wohl auch der berühmte Freibeuter Klaus Störtebeker wird um 1400 – eine Blütezeit deutscher Piraterie in der Ost- und Nordsee – auf der Insel Wolin mit der Seeräuberin Stina in Verbindung gebracht. Den Überlieferungen nach war sie auch Gefährtin und Verbündete Klaus Störtebekers. Auch wenn sich heute Sagen und Tatsachen nicht mehr eindeutig trennen lassen, bleibt Stina jedoch die einzige bekannte deutsche Seeräuberin. Sie hatte ihren Stützpunkt in Wolin.
Diese Schlaglichter beweisen die bewegte Vergangenheit von Stadt und Insel.
Den Abend verbrachten wir bei einem herausragend guten Essen im Restaurant Ka la Fior, einer lustigen Verballhornung von cauliflower bzw. polnisch Kalafior, der Begriff ist der gleiche! Ein à point gebratener Pulpo mit Mangochutney, nahe am Michelin Stern.
Für die Nacht hatte Wanda und Tomasz eine kleine Pension organisiert, in deren Garten sie ihr Zelt aufbauen durften. In unserem Zimmer mussten wir erst einmal auf Mückenjagd gehen. Sobald das Licht aus war, war das typische Geräusch unüberhörbar, ssssss! Die Lage nicht weit vom Wasser und der feuchten Uferzone ist eben ein Mückenparadies.
Ich habe mit einer Zeitung Mücken geklatscht und die Fahrradpartnerin hat mit einem feuchten Tuch die Blutflecken von der Wand geputzt. Wir haben alle Quälgeister erwischt und hatten eine ruhige Nacht.
Die Hauptattraktion von Wolin ist das „Archäologisches Freilichtmuseum Slawen- und Wikingersiedlung“ auf einer Flussinsel vor den Toren der Stadt.
Ein wesentlicher Teil des Museumskonzeptes basiert auf der möglichst authentischen Darstellung des damaligen Lebens durch Vereinsmitglieder und Angestellte.
Nach archäologischen Funden wurden hier slawische Häuser des 9. und 10. Jahrhunderts in Originalgröße rekonstruiert. Zur Landseite umgeben von einer Holzpalisade befindet sich zum Fluss hin ein Anlegekai für den Nachbau eines historisches Schiff aus der Zeit um 900 bis1100. Kai und Hafen wurden gemäß den Ausgrabungen rekonstruiert.
Im Museumsdorf sind ständige Mitarbeiter in historischen Trachten anwesend. Jeder Mitarbeiter beherrscht historische Handwerkstechniken, z.B. Töpferei, Bronzeguss, Schmiedekunst, Weberei oder Lederverarbeitung. Während der Saison und besonders während des Festivals wohnen und arbeiten die Vereinsmitglieder und auswärtige Gäste auch in den Hütten.
Ausprobieren und Selbermachen ist ein wesentlicher Teil des pädagogischen Konzeptes. Musikanten spielen verschiedene historische Instrumente und führen deren Herstellung vor.
Einer der Spezialisten erklärte uns die Herstellung von Teer aus Birkenrinde und erläuterte die Heilwirkung von Teer, auch gegen Mückenstiche. Die Teersalbe mit verschiedenen Heilkräutern vermischt auf den Mückenstich aufgetragen, wirkte umgehend.
Besondere Höhepunkte sind die Wikinger Festivals, die jährlich am ersten Augustwochenende stattfinden.
Wir waren eine Woche vorher dort und das mittelalterliche Leben war bereits in vollem Gange. Wir waren sehr früh dort und konnten das Dorf noch fast ohne Besucher erleben und fotografieren.
Die Einrichtungen des Freilichtmuseums sind von Anfang April bis Ende Oktober geöffnet.
Über den schon zu großen Teilen fertig gestellten Radweg sind wir immer mit Blick auf das Haff weiter in westlicher Richtung geradelt. Zwei Höhepunkte erwarteten uns auf der Route. Erstens der Türkissee bei Wapnica (Kalkofen), ein See der durch den Abbau von Kreidekalk und Kreidemergel entstanden ist. Diese Materialien wurden bereits im 16. Jahrhundert zum Bleichen von Textilien und als Düngemittel genutzt. Schon im Jahre 1578 wird eine Kalkbrennerei erwähnt.
„Seinen Namen Türkissee verdankt der See der blau-grünen Farbe seiner Wasseroberfläche, was ihm einen ungewöhnlichen Charakter gibt. Die türkisgrüne Färbung entsteht durch die Brechung und Zerstreuung des Sonnenlichts im klaren Wasser und des Lichtreflexes vom weißen, kalkhaltigen Grubenboden.“ (Wikipedia)
Leider waren die Lichtbedingungen nicht so gut, dass die türkisgrüne Färbung nicht so eindrucksvoll sichtbar wurde, wie sie auf Fotos der Infotafeln gezeigt wird.
Auch der nächste Höhepunkt war wetterbedingt nicht in seiner ganzen eindrucksvollen Größe erlebbar. Der Blick von der 80 m hohen Steilküste auf das Delta des Oderarmes Świna (Swine) über den ungefähr Dreiviertel des Oderwassers in die Ostsee fließen, war durch das diesige Wetter leider arg getrübt.
Hier könnte der Radweg noch baulich verbessert werden
Am Türkissee
Blick auf das Delta des Swinestroms
Diese landschaftlichen Höhepunkte werden durch einen perfekten Radweg verbunden, der die Struktur der historischen Straße erhält. Links und rechts neben dem Kopfsteinpflaster sind schmale Streifen mit Asphalt eingebaut worden. Das ist eine sehr aufwendige und teure Bauweise, da beim Bau die Spannung der Kopfsteinpflasterstraße erhalten bleiben muss, da sich sonst sich die Steine aus ihrer Position lösen. Besser kann man historisches Erscheinungsbild einer Straße und die Ansprüche des Fahrradverkehrs nicht miteinander verbinden. Der Neubau des Radweges neben der alten Straße hätte zu Fällungen einiger der wunderschönen Buchen geführt, was wohl hier gar nicht möglich wäre, da die Straße noch gerade innerhalb des Słowinski Nationalparks verläuft. (Mehr Infos zu diesem Nationalpark findet ihr im Kapitel „Ostseeradroute“.)
Super Radweg
Bald ist Międzyzdroje (Misdroy) erreicht, das uns von der Ostseeradtour noch in guter Erinnerung ist. Jetzt aber war Hochsaison und der Badeort war mit Autos völlig verstopft. Mit dem Fahrrad kamen wir aber an den Automassen gut vorbei und konnten auf dem neuen Küstenradweg genussvoll weiter radeln. Das Vergnügen war leider von kurzer Dauer, denn bald wurde der neue Weg auf den alten Eurovelo 10 verschwenkt. Der verläuft durch schöne Wälder und genau das ist das Problem. Die Forstverwaltung möchte keine Radler im Wald dulden und pflegt den Weg zumindest nicht und legt wohl sogar bewusst Hindernisse an, so z.B. ist eine volle Lkw-Ladung Schotter auf den Weg gekippt worden.
Wir entschlossen uns daher, das letzte Stück unserer Tour bis Świnoujscie (Swinemünde) auf der Landstraße neben der Eisenbahntrasse zu radeln. Glücklicherweise besteht weiter südlich eine leistungsfähige Straße, so dass wir unser Ziel vom Verkehr ziemlich unbehelligt erreichen konnten.
Als würdigen Abschluss unserer gemeinsamen erlebnisreichen Radtour hatte Wanda eine Fahrt mit dem Schiff nach Sczcecin gebucht. Das Schiff legte von der gegenüber liegenden Stadtseite von Świnoujscie ab. Die Świna (Swine) wird von der kostenlosen, fast im Minutentakt fahrenden, Stadtfähre gequert. Der Bau eines Tunnels ist zwischen den beiden Stadthälften beschlossen. Ob Radler diesen Tunnel mitbenutzen dürfen, wusste auch Wanda nicht. Dann wird die Situation für Fußgänger und Radfahrer deutlich schwieriger, denn die Stadtfähre, die natürlich auch Autos befördert, wird wohl nach Tunnelfertigstellung sehr viel seltener verkehren.
An der Ostsee
Der leider noch viel zu kurze neue Radweg hinter Świnoujscie
Nach einem langen Tag mit viel Sport ist jemand hundemüde
Wir verlassen den Hafen von Świnoujscie
Für die anstehende Seereise haben wir uns noch mit etwas Essbarem versorgt und schon ging es los. Ich war doch sehr erstaunt über den regen Schiffsverkehr auf dem Kanał Piastowski, übersetzt Piastenkanal.
Seit 1945 ist dies der neue Name des 1875 bis 1880 als „Kaiserfahrt“ erbauten Kanals, der den Südzipfel der Insel Usedom durchschneidet, und die Świna (Swine) südlich der Hafenstadt Świnoujście (Swinemünde) mit dem Stettiner Haff und der Oder verbindet.
„Die zwölf Kilometer lange Schifffahrtsstraße mit einer Wassertiefe von etwa zehn Metern umgeht den schwer befahrbaren östlichen alten Lauf der Swine. Dieser Wasserweg war oft versandet und musste ständig nachgebaggert werden. Seitdem können Seeschiffe mit geringerem Risiko den Kanal zwischen der Ostsee und Stettin (Szczecin) verkehren, was zum Aufstieg des Hafens von Stettin und zum Niedergang des Hafens von Swinemünde führte.“ (Wikipedia)
Leider zog der Himmel immer mehr zu, so dass der erhoffte Sonnenuntergang über dem Wasser nicht zu erleben war. Auch die Orte an der Küste, durch die wir nur einen Tag vorher geradelt sind, waren im Dunst kaum noch zu erkennen. Aber dennoch war es eine vergnügliche Fahrt. Aus den Lautsprechern schallten fröhliche Shanties in sehr angenehmer Lautstärke. Einige der Seemannslieder waren uns auch mit polnischem Text bekannt, der Hamburger Färmaster … !
Einfahrt in den Hafen von Stettin
Am Ziel, die Hakenterrasse
Nach gut vier Stunden erreichte unser Schiff die Hakenterrasse in Szczecin, wir waren „zu Hause“. Gerne hätten wir mit Wanda und Tomasz noch auf ein Abschiedsbierchen in´s Restaurant Columbus neben der Hakenterrasse eingeladen um die Reise ausklingen zu lassen. Aber sie mussten noch nach Hause radeln, denn der Dienst im Amt beginnt früh!
Also ließen wir beiden verbliebenen Radler uns im Columbus bei einem Bier mit Blick auf die Oder nieder und genossen den mückenfreien Platz.
Zum ersten Mal haben wir als „alte Stettiner“ nachts die Philharmonie illuminiert gesehen, ein fantastischer Anblick!
Wir sind schon sehr gespannt, wohin uns Wanda und Tomasz im nächsten Jahr führen.
Die illuminierte Philharmonie von Stettin